Alice Schwarzer im Gespräch mit Margarete Mitscherlich. Über die Motive der Neuen Rechten: Angst vor Frauenemanzipation und latente Homosexualität.
Was sagst du zu den überraschenden Siegen der Neuen Rechten bei den Landtagswahlen, Margarete?
Alle diese Männer haben große Angst, dass ihnen ihre Position als Mann genommen werden könnte. Die Werte, denen sie huldigen – Gegnerschaft und Soldatentum – diese rechten deutschen Werte, die seit eh und je die gleichen sind, werden durch die moderne Frauenbewegung in Frage gestellt, das ist ganz klar. Ich denke, dass viele dieser jungen Männer auch zu den Rechten stoßen, weil sie sich durch das Verschwinden dieser alten Werte, die aber für sie ihre Männlichkeit ausmachen, bedroht fühlen. Ihre Wahl der Rechten hat also sehr viel mit der angestammten männlichen Rolle und mit den männlichen Selbstwerten zu tun. Das ist, neben der Fremdenangst, sicher das Hauptmotiv.
In dieser Fremden-Feindseligkeit steckt doch aber auch das Element der Rivalität, der Konkurrenz mit den fremden Männern. Denn wenn Fremdenangst ein Motiv wäre, rechts zu wählen, dann hätten Frauen ja einige Gründe mehr, Angst zu haben. Stichwort: sexuelle Gewalt – fast der ganze Drogenstrich zum Beispiel scheint in türkischen Händen zu sein.
Sicher, das war ja auch mit den Juden so: Die Männer hatten immer Angst, dass die Juden attraktiver wären. Dunkelhaarige Männer sehen nach unserem Verständnis in der Tat oft besser aus als die blonden Recken. Aber diese diffuse Angst vorm Feind ist auch Abwehr: die Angst vor den eigenen Wünschen, weiblich zu sein oder Männer zu begehren. Auch die Juden galten als „weibisch“. Ich glaube, das ist eine ewige Konstellation. Diese dunkelhäutigen, dunkeläugigen Männer sind natürlich nicht nur für Frauen attraktiv, sondern auch für Männer. Und dieses Begehren schlägt um in Abwehr. Früher musste die latente Homosexualität, die gerade für die harten deutschen Männer seit Bismarck eine Verführung gewesen ist, abgewehrt werden durch den soldatischen Supermann. Die Bismarck-Politik war ja eine reine Eskalation der Männlichkeit. Diese traditionellen Werte nun werden heute in Frage gestellt. Man kennt jetzt die Psychologie dieser Männer, ihre latente Homosexualität, ihre Neigung zur Abwehr und zu Projektionen und Verschiebungen. Diese männlichen Werte werden von den Frauen nicht mehr ernstgenommen, und da ist die Rechte die letzte Bastion, um vergangene und unzeitgemäße Werte aufrechtzuerhalten.
Sind die wirklich so unzeitgemäß? Es gibt ja gleichzeitig eine Renaissance der Männlichkeit, nicht nur bei den Rechten, auch bei den Linken und in der ganzen Kultur. Der unwiderstehliche Charme des Zuhälters ist wieder allpräsent: im Film, in der Literatur, in der Musik… Drei-Tage-Bärte sind in und gerade im sogenannten „fortschrittlichen“ Milieu gilt Männlichkeit wieder als chic.
Mag sein. Auch Teile der Linken halten ja Gewalt für legitim. Und wo ist noch der Unterschied zwischen links und rechts? Gerade für Frauen kann es längst nicht mehr um Bündnistreue an sich gehen: Wir müssen uns die jeweils konkreten Inhalte sehr genau ansehen und können uns nicht auf Etiketten verlassen.
Geht es bei den rechten Männerbünden nicht neben der verdrängten auch um die gelebte Homosexualität? Kühnen zum Beispiel war homosexuell, er starb an Aids.
Diese manifeste, also gelebte Homosexualität wundert mich. Na gut, in der SA gab es auch eine manifeste Homosexualität, die dann von Hitler 1934 brutal ausgerottet wurde. Hitler war ja selbst latent homosexuell und hat aus diesem Grund die manifest Homosexuellen umbringen lassen. Ich habe allerdings immer gedacht, dass die manifeste Homosexualität keine Chance hat bei den Neuen Rechten. Ich glaube, dass Homosexualität auch bei den Neuen Rechten ein Tabu ist, und dass sie gerade ihre ganze Politik, ihre Haltung, ihre Werte so starr vertreten, weil sie in sich etwas abwehren müssen. Dieses Tabu müssen sie aufrechterhalten, mit aller Kraft.
Die Aktienkurse stiegen am Tag nach der Rep-Wahl. Inhalte wie die Asylantenhysterie oder die Parole „Abtreibung ist Mord“ werden auch von den anderen Parteien vertreten, so manche sogar bis hin zur SPD. Und das Phänomen des neuen Zuhältercharmes und der Sado-Maso-Welle gibt es seit gut zehn Jahren, Hand in Hand mit der sogenannten „neuen Weiblichkeit“. Glaubst du trotzdem, dass die Neue Rechte letzte Rückzugsgefechte sind, die keine wirkliche Chance haben?
Ich kann es mir nicht anders vorstellen. Was einmal ins allgemeine Bewuddtsein eingedrungen ist, kann zwar starr abgewehrt werden, aber gerade in der Starrheit dieser Abwehr verbirgt sich doch das Brüchige und es zeigt sich, wie schwer es ist, etwas runterzuhalten. Dogmatismus ist immer eine kurzlebige Geschichte. Aber vielleicht bin ich da viel zu optimistisch. Vielleicht ist es historisch doch so, das sich das Patriarchat noch einmal erholt, noch einmal aufbäumt, vielleicht kriegen wir noch einmal etwas Ähnliches wie das Dritte Reich. Es ist alles möglich.
Die Tatsache, dass doppelt so viele Männer wie Frauen bei den letzten Wahlen die Rechten gewählt haben, ist eigentlich eine Sensation. Sie wird aber quasi totgeschwiegen, und zwar von allen Medien, von links bis rechts. Wenn man diesen „gender gap“, diese Geschlechterkluft, ernstnimmt, dann fallen ja alle üblichen Erklärungen in sich zusammen: Frauen sind noch mehr von Arbeitslosigkeit und fehlendem Wohnraum betroffen etc. etc.
Ja, dieses einverständliche Schweigen ist verblüffend. Wahrscheinlich sind Rechte wie Linke ganz froh, dass es die Republikaner und ähnliche Gruppierungen gibt. Denn rechts wie links haben sie den Wunsch, das Patriarchat aufrechtzuerhalten, bewusst oder unbewusst, das ist ganz klar. Darin sind sich die Männer aller Parteien einig, dass man was tun muss, um die Aufweichung alter Machtverhältnisse durch die Frauen zu stoppen. Und wenn jetzt die Neuen Rechten das auf ihre primitive und manchmal auch ressentimentgeladene, affektbeherrschte Weise machen, finden auch die Konservativen, Liberalen und Linken das okay. Sie wollen die Reps zwar politisch bekämpfen, weil die zu nah am Verfassungsbruch sind und zu fatal an deutsche Vergangenheit erinnern, und das kann man sich – auch gegenüber dem Ausland – nicht leisten. Aber sie würden nie sagen: Das Schlimme an den Republikanern ist, dass sie so gegen die Frauen sind. Im Gegenteil, man wird sich heimlich drüber freuen. Insgeheim freuen sie sich, dass sich endlich jemand gegen das fortschreitende Matriarchat wehrt. Deshalb werden diese unterschiedlichen Wahlergebnisse von Frauen und Männern verschwiegen.
Auch für 1933 ist der Faktor, dass die Nazis ja auch – vielleicht sogar vor allem – eine Reaktion auf die sich ändernde Stellung von Frauen (und damit auch von Männern) in der Gesellschaft war, bisher auffallend wenig benannt und aufgearbeitet worden. Es wird zwar immer wieder das Frauenbild der Nazis kritisiert, aber inwieweit dies eine direkte Reaktion auf die erste Frauenbewegung und ihre Früchte war, wird kaum gesagt?
Nein, darüber sind auch mir keine Arbeiten bekannt. Es ist ganz klar, wenn man die Geschichte ansieht: Wann hatten Frauen eine Chance, mit ihren Bedürfnissen nach Einfluss, nach neuen Werten, nach gesellschaftlicher Veränderung, wirklich tätig zu werden und Einfluss zu gewinnen? Wenn die Männer am Boden lagen! 1918 hatte das Patriarchat den Krieg verloren. Und da kriegten die Frauen plötzlich das Wahlrecht. In Frankreich haben die Frauen es erst 1944 gekriegt, als auch die französischen Männer am Boden lagen. Und Hitler war ein letzter Versuch – ob es ein letzter war, wer weiß – die Männerherrschaft wieder gegen die drohende Emanzipation der Frauenbewegung aufrechtzuerhalten.
Und jetzt?
Der ganze Osten ist zusammengebrochen. Wie wir mit der Ex-DDR umgehen, wie wir ihr einfach unser Wirtschaftssystem überstülpen, das funktioniert sehr schlecht und kostet sehr viel an Leid und Elend bei den Menschen dort. Und die Rechten gießen da noch Öl ins Feuer. Aber auch manche Linke haben die Wahrheit mit Marx gefunden oder ein Weiterdenken oder Zwischendenken von Marx und sind absolut starr und unfähig zu sehen, dass diese Wahrheit heute so nicht mehr gilt. Deshalb sind auch sie Fundamentalisten. Und auch die Religionen propagieren ewige Wahrheiten, die immer die gleichen bleiben und sich nie ändern. Im Iran müssen die Frauen den Schleier tragen, weil sie einer ewigen Wahrheit unterworfen werden – davon haben auch die Linken etwas. Bei den Rechten weiß man es sowieso, aber die Linken wissen oft gar nicht, wie sie den Rechten gleichen: Dass sie nicht bereit sind, Neues zu lernen, einfach mal abzuwarten, zuzugucken, um zu verstehen, wie diese Welt heute eigentlich funktioniert. Sie verändert sich dauernd, und das wollen sie nicht wahrhaben. Deshalb sind sie so dumm geworden!
Und sie wollen auch keine Macht abgeben.
Genau – die Macht über die Frauen.
Aus: © EMMA 6/1992