Feministinnen & Männerhaß

Wer sich in der Welt umschaut, weiß, daß es genügend Anlaß zum Haß gibt. Aus
Gleichgültigkeit oder Angst vor Konflikten mit unserer Umgebung neigen wir oft dazu, die Erniedrigung und Ausbeutung hilfloser Menschen um uns zu übersehen. Die Solidarisierung dieser Hilflosen – und dazu gehören auch die Frauen! – ist darum
notwendig, um den ohnmächtigen Haß zu überwinden und sich gegen jahrhundertelange Mißachtung und Unterdrückung zur Wehr setzen zu können. Das muß bei einer Reflektion aus psychologischer Sicht klar vorweg gesagt werden, damit die Analyse der irrationalen Hintergründe von Haßgefühlen nicht dazu benutzt werden kann, die sich Solidarisierenden, das heißt, die Frauenbewegung zu spalten und so ihrer Arbeit zu schaden.
Immer wieder wird Feministinnen „Männerhaß“ vorgeworfen. Auf diesen Vorwurf antwortete Alice Schwarzer im März 77 in EMMA, daß die Frauenbewegung einen Kampf für Frauen und nicht einen Kampf gegen Männer führe. Nur dort, wo Männer den Kampf der Frauenbefreiung behindern, richte sich deren Kampf auch gegen Männer. Sie betont: „Wer den Haß abschaffen will, muß die Gründe zum Haß abschaffen.“

Daß überhaupt die Rede vom „Männerhaß“ ist, das ist neu. In den vergangenen Jahrhunderten war viel mehr vom Frauenhaß der Männer als vom Männerhaß der Frauen die Rede. Dichter und Philosophen oder soge­nannte Wissenschaftler haben sich seit eh und je über die „cha­rakterliche Schwäche der Frau“, ihren „geistigen Schwachsinn“, über die Frage, ob Frauen über­haupt als Menschen anzusehen seien etc. intensiv ausgelassen. Von Aristoteles über Thomas von Aquin bis zu Möbius, Weini­ger und Montherlant ist der Frauenhaß der Männer ausführ­lich zu Worte gekommen. Je in­tensiver sich Frauen nun darum bemühen, einander nicht nur als Rivalen zu begegnen, die sich ge­genseitig ebenso entwerten, wie sie es vom Mann seit jeher ge­wohnt waren, je heftiger wird ih­nen latenter oder manifester „Männerhaß“ vorgeworfen. Daß dahinter ein bewußter oder un­bewußter Wunsch verborgen liegt, die sich solidarisierenden Frauen wieder auseinanderzu­sprengen, scheint mir unüber­sehbar.

Freud, der Erfinder des Ödipus­komplexes und Verfasser eines Buches über die geschichtsbil­dende Funktion der „Urhorde“ (Die Söhne bringen den sie unterdrückenden Vater um), hat vor allem über den Rivalitätshaß des Sohnes auf den Vater ge­schrieben. Auch die Tochter hege, wenn auch in abge­schwächter Form, ähnliche Riva­litätsgefühle der Mutter gegen­über. Für ihn war es natürlich, daß der gegengeschlechtliche Elternteil gehaßt wurde. Ein Haß, den man aber aufgrund kindli­cher Abhängigkeit und gleichzei­tig vorhandener liebevoller Ge­fühle meistens verdränge oder abwehre, indem man sich mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil identifiziert. Seiner Mei­nung nach war einzig die Bezie­hung zwischen Mutter und Sohn von einander widersprechenden Gefühlen unbelastet, da die Ge­burt eines Sohnes die Mutter von ihren Gefühlen, als Frau min­derwertig zu sein, weitgehend er­löse.

Später mußte Freud erkennen, daß die Beziehung der Frau zum Vater, vor allem diejenige zum späteren Sexualpartner, von der frühen Beziehung zur Mutter abhing, er sagte: „Er (der Ehe­mann) sollte die Vaterbeziehung erben und in Wirklichkeit erbt er die Mutterbeziehung.“ Mit Hilfe der psychoanalytischen Methode gelang es Freud erst­malig, einige der Motive, die hin­ter der männlich-egoistischen Idealisierung und gleichzeitigen Infantilisierung und Degradie­rung der Frau lagen, konsequen­ter zu durchschauen, indem er sie auf die ödipale Eifersucht des Sohnes zurückführte. Seither waren es vor allem Psychoanalytikerinnen, die die Bedeutung der frühen Beziehung zur Mutter für die weibliche Entwicklung erkannten.

An einem untergründigen Haß auf die Mutter, so Melanie Klein, und den damit verbundenen Schuldgefühlen würde das Mäd­chen noch mehr leiden als der Knabe. Dieser könne seinen Pe­nis, als Zeichen seiner Männlich­keit, mit narzißtischer Allmacht besetzen und würde darin von der Mutter unterstützt. Dem Mädchen hingegen seien solche Möglichkeiten nicht gegeben. Die körperliche Andersartigkeit erlaubt dem Knaben auch, sich als von der Mutter unterschiedli­ches Wesen erleben zu können, während das Mädchen die Ten­denz beibehalte, in eine symbio­tische Verschmelzung mit der Mutter zurückzufallen.

Bei vielen Analytikern werden alle späteren Entwicklungen von Mann und Frau ausschließlich auf die früheste Mutter-Kind-Dyade, die in der Beziehung zum Vater fortgesetzt wird, zurückge­führt, ohne daß die von zeitbe­dingten Vorurteilen geprägte Erziehung, auch der allerfrühe­sten Kindheit, und ihre Wirkung auf die Mutter-Kind-Beziehung, genügend berücksichtigt werden. Im Gegensatz zu Melanie Klein meinte Zilboorg, ein männlicher Analytiker, daß die Angst vor der ursprünglich als allmächtig empfundenen Mutter und dem aus Angst, Abhängigkeit und Enttäuschungen stammenden Haß vor allem in der männlichen Psyche wirksam sei. Er führte diesen Haß der Männer auf hi­storische Ereignisse zurück: die kindergebärende Frau, die als die prägende Macht der Prähi­storie angesehen wird – den Männern weit überlegen, die sie sich ganz nach ihren Bedürfnis­sen ausgewählt habe – wurde schließlich mit Gewalt ihrer vor­herrschenden Stellung beraubt.

Vor dem Vatermord der Urhorde, den Freud als geschichtsbil­dend beschrieben hat, läge des­wegen – so Zilboorg — der Mut­termord, das heißt, die totale Unter­werfung der Frau durch den Mann. Die individuelle psychi­sche Geschichte des Mannes entspräche diesem historischen Entwurf. Der kleine Knabe ist völlig abhängig, später wird er sich dann rächen und die Frau weitgehend entmachten und entwerten. Bei Zilboorg wird hi­storisch früh und psychisch früh gleichgestellt, ein spekulativer Denkvorgang, dem man so ohne weiteres nicht zu folgen vermag.

Es ist klar, daß der Neid der Männer auf die Gebärfähigkeit der Frau oft nur mit Mühe unter­drückt werden kann. Die männ­liche Tendenz zur Entwertung der Frau kann nicht selten auch auf diesen Neid zurückgeführt werden, vor allem dann, wenn er der Verdrängung unterliegt. Da­für gibt es in der psychoanalyti­schen Behandlung genug Bei­spiele.

Ist aber nun der „Männerhaß“ mancher Frauen tatsächlich eine Verschiebung der ursprünglich der Mutter geltenden Angst- und Haßgefühle? Tritt der Mann da­mit das Erbe der Beziehung zur Mutter an, wie es schon Freud annahm? Ich meine, daß damit die komplizierten Beziehungen zwischen Mutter und Tochter ei­ner vereinfachten Sehensweise unterworfen und gesellschaftli­che Realität ungenügend be­rücksichtigt wird. Auch die Be­deutung des „Frauenhasses“ vie­ler Männer wird dadurch in den Hintergrund gespielt und dessen Wirkung auf das Verhalten der Frau nicht genügend reflektiert. Im Leben einer Frau verlaufen ihre Beziehungen zu Männern nicht immer nach dem gleichen Muster. Aus der Tendenz, sich von ihrem Partner erniedrigen zu lassen, kann sich eine Frau be­freien. Sie kann lernen, in einer neuen Beziehung eine gegensei­tig befriedigende Partnerschaft aufzubauen. Wie läßt sich das psychoanalytisch erklären? Es könnten unterschiedliche Aspekte der frühkindlichen Er­lebnisse mit den Eltern die ver­schiedenen Beziehungen prägen oder untergründige Strafbedürfnisse können quasi abreagiert werden, um danach neue und andersartige Partnerbeziehun­gen möglich zu machen. Natür­lich kommt es auch auf den je­weiligen Partner und dessen frühkindliche Prägungen und Verhaltenszwänge an, welche Formen eine Liebesbeziehung annimmt.

Darüber hinaus paßt jedermann sich mit seinem Verhalten den gesellschaftlichen Einstellungen und Idealen an, ist gesellschaftli­cher Realität ausgeliefert. Es ist schwer für eine Frau, ein neues Selbstbild zu entwickeln und die Rollenzwänge, denen sie unter­worfen ist, zu durchbrechen. Un­sere Gesellschaft verlangt zum Beispiel von ihr, möglichst un­entwegt sexuell attraktiv zu sein. Ein Vater sieht in seiner kleinen Tochter gern die kleine flirtende Frau und fördert durch seine Erwartungen entsprechende Ver­haltensweisen. Gleichzeitig wird die richtige Mischung von aufop­fernder Mutter und idealer Ge­liebter verlangt. Ist sie dann von den vielen ihr auferlegten Forde­rungen erschöpft und ver­braucht, nimmt man es ihr meist übel, wenn sie depressiv und klagsam wird.

Gerade weil sie nicht lernt, für sich etwas zu tun, einen eigenen Selbstwert aufzubauen und einen Beruf zu wählen, der ihr jenseits von der Beziehung zu Mann und Kind Lebenssinn und ökonomi­sche Sicherheit geben könnte, wird sie im späteren Lebensalter nicht selten fallengelassen. Für den Mann hingegen ist die Kon­frontation mit dem älter werden meist viel weniger bedrohlich. Er braucht nicht schön, nicht sexy, nicht aufopferungsbereit zu sein, wenn er nur einigermaßen erfolgreich in seinem Beruf ist, werden ihm Anerkennung und neue Partnerangebote nicht ver­weigert.

Masochistische Verhaltenswei­sen können also Reaktionen auf Haßgefühle, die ursprünglich der Mutter galten, sein, sie können aber ebenso gut Identifikationen mit entsprechenden Haltungen der Mutter darstellen. Gefühlsbeziehungen zur Mutter ändern sich im Laufe der Ent­wicklung eines Kindes. Sie haben oft viele unterschiedliche Aspek­te, die Identifikation mit deren Verhaltensweisen aber sind schwer zu durchbrechen und ha­ben Tendenz, sich zu wiederho­len. Sie bilden die Grundlage für das, was wir als Traditionen be­zeichnen.

Wir haben beobachtet, daß die der negativen Mutterbeziehung entstammenden Gefühle häufi­ger und direkter anderen Frauen als dem Mann gegenüber aus­agiert wird. Wir nehmen aber die Abneigung der Frauen unterein­ander, ihre oft von Neid und Ri­valität diktierte Entwertung als selbstverständlich hin. Wenn eine Frau dagegen einem Mann gegenüber aggressiv wird und sich zu behaupten versucht, sind die meisten von uns darüber so schockiert, daß ihnen nur der Warnruf „Männerhaß“ einfällt. In Wahrheit kommt der soge­nannte „Männerhaß“ der Feministinnen, die versuchen, eine bessere Beziehung unter sich aufzubauen, in deren individuel­len Männerbeziehungen nur sel­ten zum Ausdruck. Die angeb­lich besorgte Warnung davor ist vor allem ein Spaltungsmanöver. Wichtiger, als sich mit dem „Männerhaß“ der Frauen zu be­schäftigen, bleibt es darum, die Frauen in ihrem dringend not­wendigen gegenseitigen Ver­ständnis und in ihrem Einsatz und Kampf füreinander zu ver­stehen und ihnen zu helfen, zu einem neuen Selbstverständnis und neuen Verhaltensformen in ihren mitmenschlichen Bezie­hungen zu finden.

Margarete Mitscherlich-Nielsen

Aus © EMMA 7/1977