Über den weiblichen Masochismus

Männer-Phantasien werden seit jeher auf Frauen projiziert, um diese dann über Jahrhunderte reuelos als Hexen verfolgen, foltern und vernichten zu können. Auch heute noch tragen Psychologen mit ihren Theorien dazu bei, Frauen nicht als Opfer, sondern mehr oder weniger als Anstifterinnen anzusehen, wenn sie männlicher Gewalt ausgesetzt sind. Vergewaltigung sei immer die Folge einer Provokation, heißt es dann. Alle Frauen seien außerdem von Natur aus masochistisch und würden Leiden und Unterdrückung genießen. Diese Eigenschaften seien zwar in vielem begrüßenswert, wenn auch, wie so manche anderen typisch weiblichen Verhaltensweisen, ein weiterer Grund dafür, Frauen zu verachten.

Die Tatsache, daß bei sich Frauen sexuell stimulierende Vergewaltigungs- und Erniedrigungsphantasien häufiger beobachten lassen als bei Männern, führte bei Psychologen und Psychoanalytikern zu dem Fehlschluß, daß Frauen nach einer Realisierung dieser Phantasien trachteten. Genauere Beobachtungen und Analysen solcher Phantasien lassen jedoch unschwer erkennen, daß es sich dabei um qualitativ unterschiedliche Vorgänge handelt, denn die real erlebten Vergewaltigungen werden so gut wie nie als lustvoll empfunden. Sie gehen häufig mit bleibenden psychischen Schäden einher. Phantasierte und real erlebte Vergewaltigungen lassen sich nicht gleichsetzen. Phantasien über sexuelle Vergewaltigung sind weder so brutal noch so einfühlungslos wie wirkliche Vergewaltigungen. Im Gegensatz zur tatsächlichen Gewalt machen Phantasien nicht hilflos, im Gegenteil, wer phantasiert, ist kein Opfer, er ist Schöpfer und Beherrscher der Situation, die er phantasiert. Vergewaltigungsphantasien wie masochistisches Verhalten im erweiterten Sinn können also dem meist unbewußten Ziel dienen, passiv erlittene Unterdrückung und Gewalt in kontrollierbare Situationen zu verwandeln und damit Unlust zumindest ein Stück weit in Lust und Ohnmacht ein Stück weit in Macht zu verwandeln.

Die Tatsache, daß bei Frauen masochistische Phantasien häufiger auftreten als bei Männern, dürfte aber auch auf ihre Jahrhunderte alte soziale und familiäre Unterdrückung zurückzuführen sein. Es gab für sie nur sehr begrenzte Auswege und Methoden, um eine hilflose und erniedrigende Situation einigermaßen in den Griff zu bekommen. Bewußt oder unbewußt identifizieren sich auch heute noch manche Frauen mit dem Rollenbild von  der schwachen und abhängigen Frau, die im Mann den Mächtigen sieht, der Lebenshilfe bietet und Lebensziel ist – um dann durch Einfluß auf diesen Mann, den sie von sich und ihrer dienenden, opfernden Haltung abhängig werden läßt, an dessen Macht teilzuhaben und ihn zu kontrollieren.

Das alles trifft aber nur dann und auch nur gelegentlich zu, wenn es sich um eine länger dauernde, tiefergehende Beziehung zwischen Mann und Frau handelt, nicht aber, wenn in einer beziehungslosen, angsterregenden Situation Frauen männlicher Gewalt und Willkür ausgesetzt sind. Typische Konstellationen langdauernder Beziehungen lassen sich also mit der psychischen Situation einer vergewaltigten Frau in keiner Weise vergleichen. Brutale Gewalt verursacht Traumen, die so leicht nicht zu heilen sind und die das Leben der Opfer beider Geschlechter so tiefgehend zerstören können, daß das notwendige Stück Welt- und Urvertrauen in die Achtung des anderen vor dem eigenen Leib und Leben zusammenbricht, wie in die Fähigkeit, sich selbst verteidigen zu können, ohne die ein Mensch nicht leben kann.

Freud unterschied zwischen dem moralischen, dem erogenen und dem femininen Masochismus. Der moralische Masochismus leidet unter bewußten Schuldgefühlen und hat ein ihnen entsprechendes unbewußtes Bedürfnis nach Bestrafung. Er begibt sich zwanghaft in Situationen, die ihm zum Nachteilgeraten oder in denen er zum Opfer wird. Sein Verhalten ist nicht mit sexueller Erregung verbunden.

Im erogenen Masochismus dagegen ist sexuelle Lust mit körperlichem Schmerz verbunden. Diese Form des Masochismus stellt im allgemeinen eine Perversion des sexuellen Erlebens dar, obwohl eine solche Verknüpfung von Sexualität und Schmerz von manchen Psychoanalytikern für Frauen als »normal« angesehen wird. So vertritt Helene Deutsch die Überzeugung, daß der Gebärschmerz gleichzeitig die höchste sexuelle Lust für die Frau darstelle. Das heißt, was beim Mann als pervers angesehen wird, ist bei der Frau normal. Ist man da als Mann nicht voll berechtigt, Frauen als quasi angeboren pervers zu verachten? Der feminine Masochismus gilt als Ausdruck desfemininen Wesens. Wer an ihm leidet, versetzt sich in seinen Phantasien in eine für die »Weiblichkeit charakteristische Situation«. Damit ist im allgemeinen die passive Haltung eines Menschen gemeint, der besondere Freude an der Unterwerfung und Aufopferung erlebt. Diese Lust am Leiden hat nicht selten eine sexuelle Note.

Der Unterschied zwischen erogenem und weiblichem Masochismus ist in der psychoanalytischen Theorie eher ungeklärt, denn auch Freud vertrat die Ansicht, daß nur der für die Frau typische masochistische Leidensdruck sie dazu befähige, den Geschlechtsverkehr zu genießen. Freud übersah, daß es der „ehrbaren“ Frau nicht erlaubt ist, ihr Begehren aktiv zu äußern, und sie deswegen über die Jahrhunderte ihre Sexualität nicht anders als passiv, d.h. mehr oder weniger masochistisch zu erleben vermochte. Das Tragische ist, so Elfriede Jelinek, »daß die Frau in dem Augenblick, wo sie aktiv ein Objekt der Begierde sucht, damit das Begehren des Mannes am sichersten auslöscht« (1989). So blieb die weibliche Sexualität, insbesondere für die Frau selber, bis heute weitgehend ein »dunkler Kontinent«.

Die Frau als Opfer, als Sich-Aufopfernde in Familie und Sexualität, gehört also seit langem zum Bild der Frau und wurde von der Gesellschaft als normal zu erwartendes Verhalten der Frau angesehen. Frauen sollen einerseits in ihrem Mann aufgehen, sich zurückstellen, ihn als den gesellschaftlich, familiär und sexuell Bestimmenden, als den großen potenten Helden oder beruflich Erfolgreichen bewundern, andererseits ihm für ewig den mütterlichen Schutz in der Familie garantieren. Dieses Frauenbild (und damit verbindet sich natürlich ein entsprechendes Männerbild) wird erst seit relativ kurzer Zeit ernsthaft in Frage gestellt und damit einer Wertekritik unterzogen, die zunehmend nicht nur von aufgeklärten und nachdenklichen Frauen ausgeht, sondern große Teile unserer Gesellschaft erfaßt hat.

Wenn Frauen sich gegen die kampflose Hinnahme von Gewohnheitsrecht wehren, stoßen sie meist auf Widerstand der Männer. Nur wenige Männer sind bereit, sich mit den ihnen unbequemen Problemen, Forderungen und Einsichten von politisch bewußten Frauen auseinanderzusetzen: die meisten reagieren darauf aggressiv oder höhnisch.

Sich mit Konflikten auseinanderzusetzen, Schuldgefühle zu ertragen, ist nicht Sache der Mehrheit der Männer, wahrscheinlich auch nicht Sache der Mehrheit der Frauen. Die Fähigkeit jedoch, mit den eigenen Gefühlen umzugehen, ist bei Frauen von Kindheit an – schon durch ihre Erziehung in weit höherem Ausmaß gegeben als bei Männern. Abwehr von Schuld, Scham und Aggressionen ist bei ihnen regelmäßig mit der Suche nach Sündenböcken verbunden. Dementsprechend muß auch die heutige Generation der um Gleichberechtigung und Selbstbehauptung ringenden Frauen immer damit rechnen, in die .Kategorie der Geächteten eingeordnet und mit Gewalt unterdrückt zu werden.

Margarete Mitscherlich

Auszug aus „Über die Mühsal der Emanzipation“ (S. Fischer Verlag)

Aus: EMMA 4/1990